AirCarbon III | Entwicklung einer luftfahrtspezifischen Carbonfaser mit zugehörigen Halbzeugen

Hochauflösende Zeilenkameras und Wirbelstromsensoren machen Defekte auf Carbonfasern sichtbar

Die Faserqualität in der Produktion wird nach wie vor größtenteils manuell beurteilt – ein Vorgang, der mit Fehlern verbunden sein kann. In den aufeinander folgenden Projekten AirCarbon II (2014-2016) und AirCarbon III (2018-2021) kooperiert das Fraunhofer IGCV mit den Firmen SGL Carbon GmbH und Chromasens GmbH: Gemeinsam entwickeln die Partner eine automatisierte, inline-fähige Monitoring-Lösung für die Carbonfaserherstellung und angrenzende Prozesse. Dabei kommt eine Zeilenkamera mit eigenem Optiksystem und KI-gestützte, intelligente Bildverarbeitung zum Einsatz. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IKTS wird die Wirbelstromtechnologie für die Beurteilung der Roving-Qualität weiterentwickelt.

Vom Rohstoff bis zum Halbzeug: Optima II wird ein Monitoring-System für die  ganze Wertschöpfungskette anbieten
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Abbildung 1: Vom Rohstoff bis zum Halbzeug: Optima II wird ein Monitoring-System für die ganze Wertschöpfungskette anbieten

Automatisierte Monitoring-Lösungen zur Überprüfung von Carbonfasern

Die Produktqualität von Carbonfasern wird typischerweise im Anschluss an die Fertigung beurteilt. Um eine Aussage schon während der Fertigung zu treffen, wurden bisher manuelle Sichtprüfungen durchgeführt oder Abschätzungen anhand korrelierender Größen vorgenommen. Diese können jedoch nur in größeren Intervallen und ebenfalls manuell durchgeführt werden.1 Um die hohen Qualitätsstandards während der Produktion kontinuierlich sicherzustellen, sind automatisierte Monitoring-Lösungen notwendig.

Gerade bei Carbonfasern gestaltet sich die automatisierte Qualitätskontrolle aufgrund mangelnder Erfahrung und vergleichbarer Messtechnik als schwierig. Dieser Problematik hat sich das Fraunhofer IGCV in den aufeinanderfolgenden Projekten AirCarbon II und Air Carbon III gestellt und in Zusammenarbeit mit den Firmen SGL Carbon GmbH und Chromasens GmbH eine optische Monitoring-Lösung für die Carbonfaserherstellung entwickelt. Mit der Lösung werden nicht nur abstehende Filamente, Fussel und ähnliche Fremdkörper detektiert, sondern zudem die Typen der Defekte unterschieden. Um das Datenaufkommen zu reduzieren, entwickelten die Partner ein innovatives Optikkonzept. Die dazugehörige Software wurde komplett vom Team des Fraunhofer IGCV entwickelt. Dazu wurden Bilddaten erfasst, aufbereitet sowie verarbeitet und zudem nach Anomalien klassifiziert. Ergänzt wurden die Arbeiten um das Datenmanagement und ein nutzerzentriertes Interface. In Summe entstand ein inline-fähiges Monitoringsystem, mit dem sich Prozesse der Carbonfaserherstellung kontinuierlich und automatisiert überwachen lassen: von der Precursorherstellung über die unterschiedlichen Zwischenschritte (oxidierter Precursor, carbonisierte und graphitisierte Fasern) bis zur beschlichteten Faser (siehe Abbildung 1).3

Herstellungsprozess für Carbonfasern angelehnt an Bunsell 1988
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Abbildung 2: Herstellungsprozess für Carbonfasern angelehnt an Bunsell 1988²

Patentiertes Konzept: ein Sensor – breites Sichtfeld

Darstellung des patentierten Optikkonzepts zur Erweiterung des Sichtfeldes von Kamerasystemen
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Abbildung 3: Darstellung des patentierten Optikkonzepts zur Erweiterung des Sichtfeldes von Kamerasystemen

Die Grundlage für den Funktionsdemonstrator bildet eine Zeilenkamera der Chromasens GmbH sowie für den Einsatz geeignete Beleuchtungssysteme. Die deutlich höhere Auflösung des CMOS-Farbzeilensensors im Vergleich zu herkömmlichen CCD-Sensoren ermöglicht überhaupt erst die Detektion der abstehenden Filamente, die sich im Bereich von 7–12 µm im Durchmesser bewegen. Da die Sensoren in ihrer Messbreite begrenzt sind, wurde ein neuartiges und patentiertes Optikkonzept entworfen und umgesetzt, das das Sichtfeld der Kamera verdreifacht und gleichzeitig das Datenaufkommen gleich hält. Ausgelegt wurde das System vor allem für großformatige Zeilensensoren (bis zu 85 mm). Es lässt sich jedoch leicht auf kleinere Sensoren oder auf Flächensensoren übertragen.4

Somit eignet sich die Lösung besonders zur Skalierung, da sich zusätzliche Hardwarekosten auf der Kameraseite und bei der Rechenkapazität vermeiden lassen.

Weitgehende Automatisierung durch Autofokus

Um das System schnell und einfach in den Prozess zu integrieren, wurde zusätzlich ein Autofokus vorgesehen. Dieser bedient sich einer Schärfebewertung der aufgenommenen Bilder und stellt das System vollautomatisch scharf. Damit lassen sich zusätzlich prozessbedingte Schwankungen in der Gegenstandsebene ausgleichen.

 

Mehr als Bildverarbeitung

Neben der Messbereichserweiterung wurde ein für die Faserherstellung entwickelter Bildverarbeitungsalgorithmus auf einen Field Programmable Gate Array (FPGA) portiert. Denn: hochvolumige Bilddaten werden mit bis zu einem Gigabyte pro Sekunde erfasst. Dank FGPA lassen sie sich jederzeit in Echtzeit verarbeiten.

Die nachgelagerte Datenverarbeitung wurde in einer vom Fraunhofer IGCV selbst entwickelten Software realisiert, die zuverlässig die Defekterkennung übernimmt. Mit einem Ansatz für maschinelles Lernen und ausgewählten Trainingsdaten gelingt die zuverlässige Unterscheidung der erkannten Defekte. So können nicht nur Defekte auf dem Fasermaterial sicher erkannt, sondern auch automatisch eine Trennung nach Fehlerarten vorgenommen werden. Dadurch entfällt eine manuelle Analyse bei gleichzeitig erhöhtem Informationsgehalt. Zusammenfassend wurde ein Prototyp präsentiert, der über eine Architektur verfügt, die eine einfache und kostengünstige Skalierung des Systems ermöglicht, sodass zukünftig Produktionsanlagen damit ausgestattet werden können.5

Ablauf der Bildverarbeitung, vom Bildeinzug bis zur Verarbeitung und Speicherung der Daten
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Abbildung 4: Ablauf der Bildverarbeitung, vom Bildeinzug bis zur Verarbeitung und Speicherung der Daten

Komplette Wertschöpfungskette: Vom Rohmaterial zum Halbzeug

Einen besonderen Aspekt der Forschungsarbeit stellt die Betrachtung vor- und nachgelagerter Prozesse im Umfeld der Carbonfaserherstellung dar. So werden nicht nur der Prozess für die Herstellung einer luftfahrttauglichen Carbonfaser betrachtet, sondern auch das vorgelagerte PAN-Spinnen. Hier wird der Precursor für die Carbonfaserproduktion aus Polyacrylnitril gewonnen.

Ein weiterer Aspekt liegt in der Weiterverarbeitung der Rovings (Faserbündel). Durch Spreizen kann aus mehreren Rovings ein durchgehendes, flächiges Fasergelege gebildet werden. Auch dieser Prozess lässt sich durch das optische Monitoring-System aus Optima II online prüfen. Dadurch wird Optima II ganzheitlich und ermöglicht die Online-Prüfung entlang der Wertschöpfungskette vom Rohstoff zum textilen Halbzeug.

Detektion von querliegenden Filamenten und Faserbündeln (Fussel) auf PAN, PANOX und Carbonfasern an drei Punkten im Herstellungsprozess.
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Abbildung 5: Detektion von querliegenden Filamenten und Faserbündeln (Fussel) auf PAN, PANOX und Carbonfasern an drei Punkten im Herstellungsprozess.

Organic Computing ermöglicht selbst-konfigurierendes Kamerasystem

Auch Erkenntnisse aus anderen Forschungsfeldern bringen AirCarbon voran – so wie die Zusammenarbeit mit Jun.-Prof. Dr. Anthony Stein (heute Tenure Track-Professor für Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik, Universität Hohenheim) und Prof. Dr. Jörg Hähner (Lehrstuhl für Organic Computing, Universität Augsburg). Gemeinsam mit dem Fraunhofer IGCV untersuchen sie die Selbst-adaption und Selbst-konfiguration in der Bild- und Signalverarbeitung. In diesem Kontext werden Algorithmen aus den Feldern Machine Learning und Computer Vision in einer neuen Weise für die Konfiguration der Bildverarbeitung adaptiert. Zudem werden diese Algorithmen für die Anwendung im Kontext des Fasermonitorings optimiert.6

Erkenntnisse aus diesem Forschungsfeld sowie aus angrenzenden Bereichen konnten erfolgreich auf Problemstellungen in AirCarbon übertragen werden. Durch den Einsatz von evolutionären, naturinspirierten Algorithmen wird die Nutzung und Inbetriebnahme des Gesamtsystems beschleunigt:

  • Zeitersparnis durch weitgehende Automatisierung der Bildverarbeitungs-Konfiguration
  • Weniger nötige Trainingsdaten: »beschleunigte Inbetriebnahme« vor Ort
  • Mehr Flexibilität: Robustheit gegen Änderungen in der Umgebung

Die durch intelligente Algorithmen erreichte Selbst-Konfiguration und Selbst-Adaption ist nicht auf Bilddaten beschränkt. Auch digitale Signale anderer Art, z. B. Wirbelstrom oder Temperatur, können damit grundsätzlich verarbeitet werden.
 

Selbst-Konfiguration der Bilderkennung anhand weniger Trainingsbeispiele aus dem Prozess
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Abbildung 6: Selbst-Konfiguration der Bilderkennung anhand weniger Trainingsbeispiele aus dem Prozess

Online-Monitoring über INFIMO mit Schnittstelle zur Cloud

Die Daten werden nach erfolgter Filterung und Vorverarbeitung in einer lokalen Datenbank gehalten. Das Fraunhofer IGCV hat dazu einen eigenen Vision-PC mit allen nötigen Schnittstellen ausgestattet:

  • CameraLink-Schnittstelle
  • Beleuchtungssteuerung
  • Gig1000 Ethernet
  • Einhausung zum Schutz gegen Faserflug
Die Datenhaltung auf der lokalen Festplatte kann über Standardprotokolle jederzeit in die unternehmenseigene Cloud-Infrastruktur integriert werden. Die Analyse der Daten erfolgt über die Software INFIMO ( Inline Fiber Monitoring), die sowohl ein Roving-spezifisches Anzeigen der Defekte als auch ein tieferes Verständnis der Daten ermöglicht. So werden dem Nutzer Erkenntnisse basierend auf Feature-Analysen, d. h. nach Größe, Orientierung oder Ausprägung der Defekte ermöglicht.
Auf diesem Weg werden Trends und Anomalien sichtbar, die im laufenden Betrieb auftreten. Gleichzeitig können Data Science und Data-Mining-Methoden direkt über die Software genutzt werden. Damit kann ein Transfer auf angrenzenden Prozessen (CFK-Herstellung, PAN-Spinnen, Spreizen) oder gänzlich andere Domänen schnell realisiert werden. 7
Vision PC mit Schnittstellen für Online-Monitoring
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Abbildung 7: Vision PC mit Schnittstellen für Online-Monitoring
Metadaten aus der Datenbank erlauben bereits Trendanalysen und Anomalieerkennung im Betrieb
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Abbildung 8: Metadaten aus der Datenbank erlauben bereits Trendanalysen und Anomalieerkennung im Betrieb

Wirbelstrom-Array für volumetrisches Fasermonitoring

Ansicht des öffenbaren Wirbelstromsensors der einen Roving vollständig umschließt
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Abbildung 9: Ansicht des öffenbaren Wirbelstromsensors, der einen Roving vollständig umschließt

Neben der Defekterkennung auf Basis von Aufnahmen der Faseroberfläche werden weitere Daten für das Inline-Monitoring ausgewertet. Das Fraunhofer IKTS entwirft ein Sensor-Array auf Basis des Wirbelstromverfahrens, das einzelne Rovings umschließt und so eine dreidimensionale Erfassung ermöglicht. Die aufbereiteten Rohdaten werden anschließend an das Softwareframework zur Datenanalyse und Visualisierung weitergereicht.

Ziel ist eine umfassende Bewertung des Rovings, wie beispielsweise die Überwachung des Schlichtegehalts oder die Detektion von Flusenansammlungen. Das Messprinzip ist besonders für den inline-Einsatz auch bei hohen Prozessgeschwindigkeiten geeignet. Die Möglichkeiten des Messsystems werden aktuell in AirCarbon III erforscht, da es bislang keine vergleichbare Umsetzung und Anwendung gibt. Hier kommt die Expertise des Fraunhofer IGCV im Bereich der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens zum Tragen. Angewandt auf die Messdaten erhoffen sich die Partner neue Erkenntnisse aus den Daten abzuleiten, welche mit konventionellen Ansätzen nicht möglich sind.

Kontakt zur Eddy Current Methods Group des Fraunhofer ITKS

 

Synergien zwischen AirCarbon III und weiteren Forschungstätigkeiten

Die Partner und wissenschaftlichen Beteiligten sind bereits in der Endphase des Projekts. Hier werden Versuche an der Pilotanlage des Partners SGL Carbon durchgeführt und Daten ausgewertet. Außerdem werden die entwickelten Systeme sowohl im Labor als auch in der Versuchsanlage getestet und verbessert.

Zudem konnten aus den Forschungstätigkeiten weitere Technologiefelder und Anwendungen erschlossen werden. Die folgenden Projekte ergänzen sich mit den Arbeiten aus AirCarbon III:

  • MAI Preform 2.0
  • DIDA²
  • Saturn

Außerdem werden Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus dem Projekt an anderer Stelle verwertet oder ergänzt:

Das Fraunhofer IGCV ist an dieser Stelle bereits in Gesprächen mit Interessenten aus der Industrie. Suchen auch Sie Forschungs- und Entwicklungskooperationen zum Thema KI in der Fasertechnologie? Möchten Sie wissen, wie Sie das System bei sich verwenden und zu Ihrem Vorteil nutzen können? Kontaktieren Sie uns!

Unverbindliche Anfrage

Quellenverzeichnis:

[1] Geinitz, Steffen: Automatisch Fusselfrei. Carbon Composites Magazin. 1/2018.

[2] Brunsell, A. R.: Fibre reinforcements for composite materials. Composite materials series, Bd. 2. Amsterdam, New York: Elsevier 1988

[3] Geinitz, Steffen, et al.: Detection of filament misalignment in carbon fiber production using a stereovision line scan camera system. Proc. of 19th World Conference on Non-Destructive Testing. 2016.

[4] Geinitz, Steffen, et al.: Online detection and categorisation of defects along carbon fibre production using a high resolution, high width line scan vision system. Proc. of 17th European Conference on Composite Materials, ECCM 2016.

[5] Margraf, Andreas, et al.: Detection of Surface Defects on Carbon Fiber Rovings using Line Sensors and Image Processing Algorithms. SAMPE 2017.

[6] Margraf, Andreas, et al.: An Evolutionary Learning Approach to Self-configuring Image Pipelines in the Context of Carbon Fiber Fault Detection. 16th IEEE International Conference on Machine Learning and Applications (ICMLA). IEEE, 2017.

[7] Margraf, Andreas, et al.: Towards Self-adaptive Defect Classification in Industrial Monitoring. Proc. of 9th International Conference on Data Science, Technology and Applications (DATA). 2020.

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  • Maschinen- und Anlagenbau
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