KI in der Fasertechnologie: Texturen mit Zeilenkameras analysieren
Die Online-Prüfung von Fasern ist für Messtechnikanbieter kein leichtes Unterfangen. Nun haben Fraunhofer-Forschende eine Lösung gefunden: Den Mitarbeitenden des Fraunhofer IGCV ist es zusammen mit Industriepartnern gelungen, Faserdefekte in der Produktion zuverlässig zu erkennen. Dazu nutzen sie hochauflösende Kamerasysteme und optimierte neuronale Netze.
Flugtaxis, Helikopter, Passierflugzeuge: Die Einsatzmöglichkeiten von Carbonfasern in der Luftfahrt sind vielfältig. Leichtbau war hier schon immer ein Thema – und wird es nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels weiter bleiben. Der zunehmende Einsatz von Carbonfasern stellt die Industrie jedoch auch vor Herausforderungen:
- Produktion einer Faser mit hohen spezifischen Eigenschaften, wie Steifigkeit Festigkeit,
- gute Verarbeitbarkeit für unterschiedliche Fertigungsprozesse, beginnend beim Flechten direkt von der Rovingspule, über mit Harz getränkte Towpregs für Wickel- und automatisierte Legeverfahren bis hin zu Geweben und Gelegen, die manuell oder roboterbasiert drapiert werden und dabei
- die hohen Sicherheitsanforderungen der Luftfahrtindustrie einzuhalten.
Die Suche nach Lösungen läuft. Seit 2011 entwickelt SGL Carbon eine europäische hochleistungsfähige luftfahrttaugliche Carbonfaser. Entwickelt wird sie an der Pilotanlage, die das Unternehmen an seinem Standort in Meitingen betreibt. Die Anlage ist Kernbestandteil des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Projektes »AirCarbon«, in dessen Rahmen Industriepartner unter Federführung der SGL Group erstmals in Europa hochfeste Carbonfasern für den Einsatz in der Luftfahrt entwickeln. Seit 2014 im Rahmen des Projekts AirCarbon II mit an Bord: Das Fraunhofer-Institut für Gießerei, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV.
Vollständige und lückenlose Erfassung von Faserdefekten
Im Rahmen des aktuell laufenden Projekts AirCarbon III wird die Herstellung von Fasern nun auf ein neues Level gehoben. Dazu kooperiert das Fraunhofer IGCV mit dem auf Zeilenkameras spezialisierten Hersteller für industrielle Bildverarbeitungssysteme, Chromasens GmbH. Gemeinsam entwickeln die Partner für die neuen Materialien ein spezielles optisches Messsystem für SGL Carbon: Es ermöglicht, Mikrodefekte lückenlos zu überwachen und potenzielle, negative Prozesseinflüsse früh zu erkennen und dadurch Prozessstörungen – etwa Wicklerbildung oder Tauabrisse – zu vermeiden. Darüber hinaus liefert das System Daten und Erkenntnisse, mit denen sich die Prozessstabilität in der Carbonfaserfertigung deutlich verbessern lässt.
»Lernendes« neuronales Netz prüft vor- und nachgelagerte Prozesse
»Die automatische Erkennung besonders von sehr kleinen Faserdefekten in der
C-Faser-Herstellung ist noch immer nicht vollständig gelöst«, so Kristina Klatt, Leiterin der Carbonfaserentwicklung bei SGL Carbon. »Die einheitliche Farbgebung von Fasern und Faserdefekten macht es für Optik und Software besonders schwer, gute Ergebnisse zu erzielen.« Bisherige Lösungen beschränken sich beispielsweise auf das Prüfen von Gelegen, die durch die Wirkfäden einen Kontrast im Material aufweisen, der Abweichungen leichter erkennbar macht.
Das Fraunhofer IGCV geht hier neue Wege: Einerseits wird mit einer Zeilenkamera im Prozess eine lückenlose und kontinuierliche Überwachung der Oberfläche gewährleistet. Dies geschieht online, also im laufenden Betrieb. Andererseits wird durch den Einsatz eines angepassten neuronalen Netzes eine deutlich höhere Flexibilität in der Bildverarbeitung erreicht. So können auch vor- und nachgelagerte Prozesse wie das PAN-Spinnen oder das Faserspreizen mit der neuen Technologie überwacht werden – und das bei einem minimalen Transfer- und Konfigurationsaufwand. Das vortrainierte Netz wird in kurzer Zeit und mit wenig annotierten Bildern auf die neuen Bedingungen angepasst – es »lernt« sozusagen, die Fehler auch in abweichenden Strukturen zu finden.
Semantic Segmentation ermöglicht das exakte Lokalisieren von Defekten
Die neuronalen Netze erkennen sehr zuverlässig, ob es sich bei einem Bauteil um ein Gut- oder Schlechtteil handelt. Die Trefferquoten liegen bei deutlich über 90 Prozent. »Dies ist jedoch nur bei Mustern realistisch, die besonders heterogen erscheinen, z. B. bei gewebten Fasern«, erläutert Andreas Margraf, Projektleiter Teilprojekt Opima 2.0 im Bereich Online-Prozess-Monitoring beim Fraunhofer IGCV.
Bei den Fasern hat man es jedoch mit sehr unterschiedlichen Fehlern zu tun, die zudem variierenden Umgebungsbedingungen unterliegen. Außerdem interessiert die Forschenden und den Industriepartner SGL, wie häufig und wo die Defekte in den einzelnen Abschnitten vorkommen. Dies lässt sich mit einer Erweiterung der bisherigen neuronalen Netze erreichen, der sogenannten pixelbasierten Segmentierung bzw. »semantic segmentation«. Dabei wird jedes einzelne Pixel eines Bildes klassifiziert und mit einem entsprechenden Label versehen (»gut« (=nicht defekt), bzw. »schlecht« (=defekt)). So können Anomalien auf dem Faserteppich erkannt werden, indem größere Gruppen von Pixeln (=Bildbereichen) als »schlecht« klassifiziert werden.
Mit Hilfe dieser Technologie lassen sich in den von der Zeilenkamera aufgezeichneten Bildern zuverlässig defekte Fasern auf der Oberfläche identifizieren. Durch die hohe Auflösung des Systems wurden Objekte auf dem Faserteppich sichtbar gemacht, die das menschliche Auge nicht wahrnimmt. »Der Detailgrad, den wir online anbieten, wäre so nur noch im Labor unter dem Mikroskop zu übertreffen«, sagt Margraf.
Hohe Bildqualität trotz extremer Lichtsituation
Da sie extrem viel Licht absorbieren, lassen sich tiefschwarze Materialien wie Carbonfasern in der Bildverarbeitung nur schwer sichtbar machen. Die besonders dunkle Oberfläche der Fasern erfordert deshalb eine spezielle Industriebeleuchtung. Sie sorgt dafür, dass auf dem Sensor ein kontrastreiches Bild erzeugt wird. Mit einer Corona-II-Beleuchtung des Projektpartners Chromasens werden Bilder in hoher Qualität bereitgestellt, die Fasermonitoring ermöglichen. Dabei erlaubt es die hohe Auflösung des Sensors, Defekte bis beinahe auf Filamentniveau (bis zu 10µm) sichtbar zu machen. So können selbst kleinste Anomalien erkannt werden.
Eine Demonstrator-Software inklusive Defekterkennung und pixelbasierter Lokalisierung wird aktuell an der Industrieanlage erprobt. Die Software wird für die Carbonfaser-Herstellung eingesetzt. Die angrenzenden Prozesse, das PAN-Spinnen und Faserspreizen, wurden daraufhin mit wenigen Daten angelernt. Ziel ist es, die Software nun mit verschiedenen Anlagenparametern zu testen und auf kurze Sicht an die Bedingungen der Produktion heranzuführen. In Zukunft wird die europäische Faserherstellung auf eine übergreifende Technologie in der Prozessüberwachung zurückgreifen können.
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